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Architekturtheorie


Thorsten Reinicke
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Gilt das Prinzip »Form follows Function«, dann wird die stabile, statische Form aus der flexiblen, dynamischen Funktion hergeleitet und durch sie bestimmt. Es ergeben sich zwei theoretische Möglichkeiten:

Die Funktion wird statisch

Zwar bestimmt die Funktion zunächst die Form, ist die so bestimmte Form aber gebaut, dann ist damit auch die Funktion fixiert. Die Funktion verliert ihren dynamischen Charakter und wird statisch. Der Mensch kann nun seine Bedürfnisse nur innerhalb des funktional festgelegten Rahmens entfalten. Dies ist kein Problem, solange seine Wünsche mit dem Festgelegten übereinstimmen. Möchte er jedoch Anderes, dann läßt eine funktional fixierte Umgebung dies kaum zu.

Beispiel Wohnungsbau

Die Form wird dynamisch

Die Form folgt auch nach ihrer ›Fertigstellung‹ der sich wandelnden Funktion und unterliegt damit einer permanenten Änderung. Die Form verliert ihren statischen Charakter und wird quasi dynamisch. Praktisch bedeutet dies, daß ständig neu gebaut oder umgebaut werden muß, sobald sich die Anforderungen ändern.

Beispiel Verwaltungsbau

 

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Beispiel Wohnungsbau – Die Funktion wird statisch

Es soll hier von den typischen Neubauwohnungen die Rede sein, in denen jedem Raum eine klare Funktion zugewiesen wurde: Relativ großes Wohnzimmer – oft mit angegliederter Eßecke, relativ kleine Küche, mittelgroßes Elternschlafzimmer, ein oder zwei kleine Kinderzimmer, Bad, WC.

Häufig wird eine gewisse Standardmöblierung nachgewiesen. Für das Elternschlafzimmer beispielsweise sind das ein Doppelbett, zwei Nachtschränke und ein Kleiderschrank. Der Raum wird so konzipiert, daß er sich in mindestens einer, im günstigen Fall in zwei Varianten mit den vorgesehenen Möbeln einrichten läßt. Ähnliches gilt für die anderen Räume. In der Küche lassen sich lediglich Nahrungsmittel aufbewahren und zubereiten. Und in dem angrenzenden Eßzimmer läßt sich tatsächlich nur ein Eßtisch aufstellen. Möchte man diesen hingegen in der hierfür meist viel zu engen Küche stehen haben, oder soll das kleine Eß- oder das große Wohnzimmer zum Kinderzimmer werden, dann stehen die Mieter in der Regel vor unlösbaren Problemen. Es sei denn, die Wohnung wird ganz oder teilweise umgebaut.

Solche festlegenden Planungskonzepte setzen bestimmte Lebensmodelle voraus, wie etwa die ›Familie‹ oder das ›Paar‹. Eine übliche größere Neubauwohnung »funktioniert« nur, wenn dort tatsächlich eine Familie mit Kindern einzieht, und wenn ihr Lebensstil in etwa dem entspricht, was der Planer sich überlegt hat.

Doch solche Lebensmodelle lassen sich nicht zwingend voraussetzen. Für Wohngemeinschaften beispielsweise funktionieren die Grundrisse schon nicht mehr. Hier würden ähnlich große Zimmer und eine große Küche benötigt. Nicht selten werden Wohnungen auch beruflich oder für eine Kombination aus Beruf und Wohnen genutzt, z.B. als Arztpraxis, Kanzlei, Büro oder Atelier. Auch hier versagt der typische Neubaugrundriss. Die gestellten Anforderungen lassen sich nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten im vorgegebenen funktionalen Rahmen umsetzen.

In Anbetracht der Vielzahl der unterschiedlichen Wünsche sind funktional festgelegte Grundrisse im Wohnungsbau eher ungeeignet.

 

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Beispiel Verwaltungsbau – Die Form wird dynamisch

Bei Verwaltungsbauten wird häufig der Grundriß anfänglich soweit als möglich frei gehalten, um eine größtmögliche Flexibilität in der Nutzung zu gewährleisten. Planerisch vorgesehen wird nur das, was unverzichtbar notwendig ist, also die statisch notwendigen Stützen, die vertikale Erschließung wie Treppen und Aufzüge, Sanitärräume u.a.. Später können dann je nach Bedarf die Geschossflächen frei eingeteilt und die Grundrisse gestaltet werden.

Diese Vorgehensweise führt fast zwangsläufig zu einer ›zweidimensionalen‹ Architektur. Die Geschosse werden zunächst ›übereinandergestapelt‹, dann wird das Denken quasi ›um 90 Grad gedreht‹ und es werden die Fassaden ›designed‹. Es ergeben sich umhüllte neutrale Nutzflächen, die nachträglich mit speziellen Funktionen und erst dann mit Innenräumen versehen werden. Innere und äußere Räume, oder besser, die äußere Gestalt und die innere Teilung haben kaum noch etwas miteinander zu tun.

Doch erstellt werden müssen die Grundrisse so oder so. Denn eine Ordnung durch eine innere Teilung ist zumeist erwünscht. Da die Geschosse frei sind, kann diese Teilung zwar den jeweils aktuellen Erfordernissen relativ genau angepaßt werden, die Folge ist jedoch, daß der nächste Nutzer umbaut, oder gar abreißt und neu baut. über längere Zeit betrachtet ist der Aufwand hierfür erheblich.

Die anfängliche Freihaltung der Geschossflächen im Verwaltungsbau bietet zwar Vorteile hinsichtlich der Flexibilität und der Funktion, aber Nachteile hinsichtlich des Aufwands und der Form.

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